Inhaltsverzeichnis Wie lieb ist der liebe Gott? 7 Er wird kommen Der andere Christus 12 Die Zahl Null 14 Er kam durch die Wüste 21 Fünf Kieselsteine 29 Er ist gekommen Das Ultimatum 38 Der neue Mensch 40 Das Gespräch in der Nacht 47 Mein Name ist Feld 54 ... und die einen sind im Dunkel 61 Zehn Teile Armut 68 Vogel im Käfig 75 Das Wort, das Felsen zerbricht 82 Er bleibt bei uns Der große Bogen 92 Rettungsaktion 96 Der Wirt 100 Ein Platz in der Hütte 104 Nur ein Kind 110 Das unkündbare Quartier 117
Wie der liebe Gott? Konrad Eißler
Wie lieb ist der liebe Gott? Ich sehe sein rundes, wohlgenährtes Gesicht noch vor mir. Herablassend lächelte er mich an aus seinem blau-weiß gestreiften Manageranzug mit gepunkteter Krawatte. Gerade hatte er mir selbstzufrieden die Bedeutung seines Konzerns erklärt. Zahlen waren über mich gestürzt, Namen im Stakkato auf mich eingehämmert worden - dann machte er eine Pause und faßte zusammen: »Sehen Sie, das alles sind wir!« Man konnte richtig hören, wie das »wir« sich breit auf den Marmorfußboden zwischen uns setzte, umgeben von Glas und Beton. Und freundlich, meine Hand tätschelnd, fügte er hinzu: »Für das andere - na, Sie wissen schon, das christliche, was Sie da machen, und das hier« - dabei klopfte er sich auf seine breite Brust - »sorgt schon der liebe Gott.« Ich weiß noch, daß ich aufsprang und ihm heftig entgegenschleuderte: »Nein, so lieb ist Gott nicht. Diesen lieben Gott gibt es nicht. Er hat keinen weißen Bart. Er raucht auch keine Pfeife und sitzt abends mit Alten und Kindern auf der Parkbank. Er fliegt auch nicht auf einem Teppich durch den Himmel und paßt auf, daß die Glocken läuten. Er hat keine Patschhände und muß nicht bedauert werden. Er ist kein Seelenpfleger und auch kein Trösteonkel für Kinder.« Wie lieb ist Gott? Diese Frage ist nicht zum Einduseln, sondern zum Aufschrecken. Da kann man es mit der Angst bekommen. Die Bibel sagt: »Es ist furchtbar, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen!« Ist das noch der »liebe Gott«, den man übersieht, weil er doch nichts mehr zu sagen hat? Vor diesem »lieben Gott« steht ein Jesaja und schreit: »Weh mir, ich bin vernichtet.« Dieser Gott teilt mit einer Handbewegung das Meer und läßt es zu Wasserwänden aufstauen, so daß sein Volk sicher hindurchgehen kann. Dieser Gott benutzt fünf Kieselseine eines Hirtenknaben, um einen Krieg zu entscheiden und den Anführer kampfunfähig zu machen. Dieser Gott zieht Menschen aus dem Schlamm und stellt sie auf festen Grund - verkrachte Existenzen, kaputte Ehen, Suchtkranke, Verzweifelte, Einsame. Dieser Gott ist ein Handelnder, ein redender und ein richtender Gott. Er will keine lauwarmen Mitläufer und Augenwischer. Er will Leute, die sich entscheiden - ja oder nein. Leute, die ihre Schuld nicht mehr ertragen können. Die nach Vergebung schreien. Dieser Gott ist kein lieber, aber ein liebender Gott. Er sieht den Menschen in seiner Verlorenheit und kommt ihm in unendlicher Barmherzigkeit entgegen. Darüber schreibt Konrad Eißler - Pfarrer an der Stiftskirche in Stuttgart, Evangelist, Autor - in diesem Buch. Auch er ist kein »lieber Pfarrer«, aber einer, der seine Gemeinde liebt, die nahen und die weit weggelaufen sind und sich verirrt haben. Ihnen geht er nach. Seine Sprache ist markig, seine Bilder packend; leidenschaftlich seine Suche nach Menschen, denen er die Liebe Gottes vermitteln will. Er schreibt so, daß der »Mann auf der Straße« ihn versteht: »Wer zu Gott kommt, hat ein Dach über dem Kopf« - »Wer auf dem Bau Gottes arbeitet, wird Kreuzschmerzen bekommen. « Eißler redet vom Kreuz, weil er dem Mann am Kreuz begegnet ist und ihm nachfolgt - diesem Gott, der uns liebt. Irmhild Bärend
Er wird kommen Der andere Christus Ein Maler fertigt ein Jesusbild. Die Arbeit geht zügig voran. Nachdem es fertig ist, stellt der Künstler betroffen fest, daß er sein eigenes Gesicht dem Christus auf der Leinwand verliehen hat. Immer geben wir dem Christus unser Gesicht: Im 6. Jahrhundert erscheint Jesus in der gängigen Pose des lehrenden Weisen. Die Byzantiner malten ihn auf dem Thron antiker Herrscher. Die Germanen machten aus dem Lendentuch einen Königsmantel und aus den Dornen eine prächtige Krone. Im Spätmittelalter ist Jesus der geschundene, ohnmächtige Mensch. Vor 100 Jahren schritt Jesus fast unwirklich schön durch deutsche Kornfelder. Und heute? Jesus im Drillichanzug und mit dem Bart des Revoluzzers. Jesus in der schwarzen Robe des Rechtsanwalts für die Unterdrückten. Jesus im weißen Arztmantel in der Drogenszene. Jesus im Frack als Superstar auf der Bühne. Jesus im Sari als Guru und Meditationskünstler. Jesus soll so aussehen...